Kernforderungen zum Schutz der Biodiversität in Österreich

Österreichischer Biodiversitätsrat, 1. November 2023

Bei seiner Gründung im Jahr 2019 präsentierte der Österreichische Biodiversitätsrat erstmals fünf Kernforderungen zum Schutz der Biodiversität Österreichs. Mit zunehmendem Artenverlust und neuen Entwicklungen auf EU- und nationalem Niveau hat der Rat die Kernforderungen im Herbst 2023 überarbeitet.

Begründung

Eine intakte Natur ist die Grundlage für gesellschaftliches Wohlergehen. Sie schützt vor Naturgefahren, sichert die Nahrungsmittelproduktion und bedeutet lebenswerte Landschaften (IPBES 2019). Dies gilt besonders in der augenblicklichen Klimakrise.

Die über viele Jahrmillionen durch Evolution entstandene Biodiversität – also die Vielfalt der Arten mitsamt ihrer genetischen Variation und die Vielfalt der Lebensräume – nimmt in Österreich jedoch drastisch ab. So sind die Bestände der Brutvögel in Österreich in den letzten 25 Jahren um mehr als 40 % zurückgegangen (Birdlife), etwa jede dritte Art steht auf der Roten Liste in Österreich (Umweltbundesamt 2019) und ist damit bedroht, und 82 % aller Arten sowie 79 % der Lebensräume der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie sind in einem ungünstigen Erhaltungszustand (Umweltbundesamt 2020).

Die derzeitigen Zielsetzungen, Strategien und Gegenmaßnahmen reichen bei Weitem nicht aus, um Österreichs Biodiversität für die nächsten Generationen zu erhalten. Die wissenschaftlichen Befunde sind eindeutig, fundierte Vorschläge für Maßnahmen liegen vor und müssen umgehend politisch Berücksichtigung finden.

Daher fordert der österreichische Biodiversitätsrat von Bundesregierung und Nationalrat, sowie von allen weiteren politischen Gremien (Landtagen, Bezirksräten, Gemeinderäten), der Stimme der österreichischen Wissenschaft Gehör zu schenken und rasch konkrete und effektive Maßnahmen zu beschließen und umzusetzen.

Kernforderungen

Der aus renommierten UmweltforscherInnen bestehende österreichische Biodiversitätsrat stellt angesichts der oben dargestellten dramatischen Lage fünf Kernforderungen, um einen Stopp des Biodiversitätsverlusts in Österreich bis spätestens 2030 zu erreichen:

1 - Biodiversitätskrise stoppen

Der Biodiversitäts-Notstand ist durch den Nationalrat zu erklären und damit die Eindämmung der Biodiversitätskrise in Österreich und ihrer schwerwiegenden Folgen als politische Herausforderung höchster Priorität anzunehmen.

    • Ausbau des im Jahr 2021 eingerichteten nationalen Biodiversitätsfonds mit EUR 1 Milliarde zur Finanzierung konkreter Biodiversitätsschutzmaßnahmen sowie Ausbau der Naturschutzbudgets aller Bundesländer
    • Ein Stopp des Artenrückgangs in den letzten verbliebenen Naturlandschaften sowie den Kulturlandschaften Österreichs und die Verhinderung des Aussterbens von Arten in Österreich („Zero Extinction Austria“) sind als Priorität in Regierungsübereinkommen zu verankern und umzusetzen.
    • Der Schutz der Biodiversität und die nachhaltige Nutzung als zentrale Säulen für eine intakte Umwelt mitsamt ihren Ökosystemleistungen für eine nachhaltige Gesellschaft sind in allen politischen Handlungsfeldern zu verankern.

2 - Verpflichtungen tatsächlich einhalten

Die europäischen und internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Biodiversität sind tatsächlich und nachweislich einzuhalten.

    • Einhaltung internationaler Übereinkommen zum Schutz der Biodiversität wie der Biodiversitätskonvention und von EU-Direktiven wie der FFH-Richtlinie.
    • Engagierte Implementierung und Umsetzung des EU-Nature Restauration Laws. Bei Nichterfüllung sind umgehend und laufend korrigierende Maßnahmen zu setzen.
    • Umsetzung der europäischen und nationalen Biodiversitätsstrategie 2030+ mit klaren und verbindlichen Zielen zur Erfüllung internationaler Verpflichtungen wie z.B. des Übereinkommens zum Weltnaturabkommen in Kunming/Montreal 2022.
    • Ein flächendeckendes, repräsentatives und effizienztes Monitoringsystem, welches die Veränderungen der Biodiversität in allen Ökosystemen dokumentiert, muss in Abstimmung mit den Richtlinien der EU etabliert werden.

3 - Zur Naturverträglichen Gesellschaft werden

Eine umfassende gesellschaftliche Transformation in Richtung Ökologisierung und Nachhaltigkeit zur Wahrnehmung der Verantwortung für künftige Generationen ist einzuleiten.

    • Schaffung eines Bundesrahmennaturschutzgesetzes zur Stärkung und Harmonisierung des nationalen politischen Rahmens.
    • Schaffung einer entscheidungsbefugten Bund-Länderstelle zur koordinierten Umsetzung effektiver Biodiversitätsschutzmaßnahmen.
    • Schaffung eines starken eigenständigen Umweltministeriums, um Schutz und Förderung der Biodiversität national ganzheitlich umzusetzen. Stärkung des Biodiversitätsschutzes in den Bereichen Land- und Forstwirtschaft und Gewässer.
    • Umsetzung einer sozial-ökologischen Steuerreform mit dem Ziel, Klima- und Biodiversitätsschutz gemeinsam und gleichrangig (z.B. CO2-Bepreisung, Bodenverbrauchsabgabe, Bepreisung von Biodiversitätsschäden) umzusetzen.
    • Verstärkte Durchführung effizienter und verpflichtender Ausgleichsmaßnahmen für den Naturzustand verschlechternde Baumaßnahmen in allen Bereichen.
    • Verabschiedung eines Transparenzgesetzes zur Überprüfung der Auswirkungen von Investitionen und Gesetzen auf die Biodiversität.
    • Stärkung und Ausbau partizipativer Prozesse und Instrumente zur Beteiligung von Akteur:innen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft an der politischen Entscheidungsfindung (z.B. Umweltanwaltschaften, UVP).
    • Unterstützung eines Wertewandels: Förderung der Vielfalt der Werte der Natur in der Gestaltung der Politik, indem neben instrumentellen und ökonomischen Werten auch relationale und intrinsische Werte unterstützt werden, sodass die Fülle der Beziehungen der Menschen zur Natur vermehrt berücksichtigt werden kann.

4 - Wissenschaft und Bildung stärken

Die Biodiversitätsforschung und das entsprechende Lehrangebot an österreichischen Universitäten, Forschungseinrichtungen und Fachhochschulen sind auszubauen und zu fördern.

    • Errichtung eines nationalen Zentrums für Biodiversitätsdokumentation, z.B. als Institutsgründung an der ÖAW, analog der „Geosphere Austria„.
    • Etablierung eines funktionierenden Wissenstransfers zwischen Wissenschaft und Politik etwa durch die Einführung eines wissenschaftlichen Dienstes im Nationalrat oder die Etablierung eines Umweltrates nach deutschem Vorbild (umweltrat.de).
    • Verstärkung der Ausbildung über biologische Zusammenhänge in Pflicht- und höheren Schulen sowie von Forschungsbildungskooperationen und verstärkte Erwachsenenbildung in allen Sektoren.

5 - Biodiversitätsfördernde Landnutzung & Grüne Infrastruktur

Die Landnutzung in Österreich muss Biodiversität nachweislich sichern und fördern. Eine flächendeckende ökologische Infrastruktur muss in engem Dialog mit Ländern, Gemeinden und allen relevanten Landnutzenden strategisch geplant und zügig ausgebaut werden.

    • Sicherung einer flächendeckenden naturverträglichen Landnutzung durch Umsteuern der Agrarpolitik, insbesondere durch die Neugestaltng der EU-Förderschienen zur Ökologisierung der Landnutzung. Dabei müssen naturschädliche Förderungen und Subventionen durch ausschließlich biodiversitätsneutrale oder -fördernde ersetzt werden.
    • Sicherung bzw. Aufbau von mindestens 10 % Biodiversitätsförderungsflächen in Kulturland und Wald in jeder Gemeinde Österreichs.
    • Reduktion des Flächenverbrauchs durch Verbauung von derzeit 11,3 ha täglich auf maximal 2,5 ha (2025) und maximal 1 ha (2030) pro Tag.
    • Umsetzung von nationalen und regionalen Artenschutzprogrammen und verbesserte Finanzierung von Schutzgebieten. Biodiversitätsfördernde Modifikation der Schutzziele in Natura 2000 Gebieten, Ausweitung der Kernzonen von Nationalparks und anderen Naturschutzgebieten im Rahmen der Zielsetzungen des EU-Nature Restoration Laws.
    • Planung und Ausbau einer flächendeckenden ökologischen Infrastruktur.