Viel Rot, wenig Grün: Biodiversitätsrat präsentiert Barometer zur Biodiversitätspolitik in Österreich
Expert_innen: Einzelne gute Ansätze gegen Biodiversitätsverlust, aber große Versäumnisse – Appell: „Möglichkeitsfenster nutzen, um Kurve abzuflachen!“
Wien / Salzburg / Krems / Graz, 4.12.2020 – Im Rahmen des jährlichen „Forums Biodiversität und Ökosystemleistungen“ präsentiert der Österreichische Biodiversitätsrat das „Barometer Biodiversitätspolitik in Österreich“: In insgesamt 18 Punkten analysierten die Expert_innen die politischen Pläne, um den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten. Zwar enthält das Regierungsprogramm erstmals das Kapitel “Artenvielfalt erhalten – Natur schützen”, dennoch zeigt das Barometer nur vereinzeltes Aufkeimen von Grün: Vorhaben wie die ökosoziale Steuerreform oder der Biodiversitätsfonds weisen zwar in die richtige Richtung, seien aber noch zu wenig ambitioniert. „Und bei Themen wie dem Flächenverbrauch oder der Industrialisierung der Landwirtschaft kann von einer Trendumkehr keine Rede sein“, erklärt Christian Sturmbauer aus dem Leitungsteam des Biodiversitätsrates.
Auch wenn derzeit COVID-19 im Vordergrund stehen muss, hat die Krise des Biodiversitätsverlustes nicht an Dynamik verloren: Die Vielfalt der Arten und Ökosysteme nimmt weltweit und insbesondere auch in Österreich weiterhin drastisch ab, eine Trendumkehr ist noch in weiter Ferne. Vor diesem Hintergrund hat der Österreichische Biodiversitätsrat die Pläne der Regierung daraufhin untersucht, ob sie das Artensterben und den Verlust der biologischen Vielfalt aufhalten können.
Das Ergebnis: „Die bisherigen Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus“, fasst es Alice Vadrot, Politikwissenschafterin an der Universität Wien und Mitglied des Leitungsteams des Biodiversitätsrates, zusammen. Mit dem „Barometer Biodiversitätspolitik in Österreich“, das am 4. Dezember 2020 im Rahmen des jährlichen Forums des Netzwerks Biodiversität präsentiert wurde, wird dieses Fazit klar sichtbar: Viel Rot, wenig Orange und nur vereinzeltes Grün.
Anstrengungen vervielfachen
„Zwar weisen einzelne Maßnahmen der Regierung in die richtige Richtung – beispielsweise die geplante ökosoziale Steuerreform oder der neue Biodiversitätsfonds“, erklärt Franz Essl, ebenfalls Mitglied des Leitungsteams des Biodiversitätsrates, „doch die Anstrengungen müssen sich hier noch vervielfachen!“ So ist der Biodiversitätsfonds bisher nur 5 Millionen Euro schwer; aus Sicht des Biodiversitätsrates ist jedoch mindestens eine Milliarde Euro jährlich nötig, um das Funktionieren der Ökosysteme zu sichern und den Verlust an Biodiversität zu bremsen, „und auch das ist auf Basis einiger Studien sehr knapp bemessen“, erklärt der Ökologe an der Universität Wien.
Dennoch gehe es bei diesen Punkten zumindest in die richtige Richtung: „Bei anderen Themen – insbesondere beim Flächenverbrauch oder der ungebrochenen Bevorzugung einer möglichst großstrukturierten und förderungsorientierten Landwirtschaft – kann aber von einer Trendumkehr keine Rede sein“, betont Christian Sturmbauer von der Universität Graz. Noch immer werden in Österreich täglich 13 Hektar Fläche versiegelt – „und eine national koordinierte Raumplanung ist nicht in Sicht“, so Sturmbauer. Auch im Bereich Agrarpolitik tue sich insgesamt noch viel zu wenig, obwohl das Ziel von zehn Prozent Biodiversitätsförderungsflächen in die nationale Biodiversitätsstrategie wahrscheinlich aufgenommen werden wird.
Wissenschaft und Bildung stärken
Dringenden Handlungsbedarf sehen die Expert_innen in Bezug auf Wissenschaft und Bildung – und ein nationales Biodiversitätsforschungs-Programm nach dem Vorbild des österreichischen Klima- und Energiefonds sei nicht in Sicht.
Immerhin als Orange mit Aufwärtstrend bewertet das Barometer die Pläne für eine sozial-ökologische Steuerreform. Zwar konzentriere sich diese stärker auf den Klimaschutz als auf den Schutz der Biodiversität: „Dennoch, in diesem Bereich bewegt sich einiges – auch da braucht es aber noch mehr Anstrengung“, so Politikwissenschafterin Vadrot.
Generell sei Biodiversität in der Politik stärker in den Fokus gerückt, die Bundesregierung hat erstmals ein ambitioniertes eigenes Kapitel “Artenvielfalt erhalten – Natur schützen” im Regierungsprogramm verankert und im Rahmen des Biodiversitätsdialoges 2030 beteiligen sich Akteur_innen aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft, um die Ziele der Regierung in konkrete Maßnahmen zu übersetzen. Wichtig seien hier aber klare und verbindliche Ziele und Transparenz in der Umsetzung, so Vadrot. „Zudem fordert der Biodiversitätsrat, dass die Auswirkungen von Investitionen und Gesetzen auf die Biodiversität überprüft werden – beim Klima-Check ist dies ja bereits gelungen“, sagt die Politikwissenschafterin.
Möglichkeitsfenster nutzen
Auch in Zeiten von SARS-CoV müsse die Politik rasch tätig werden und die Weichen richtig stellen: „Wie bei COVID-19 geht es auch beim Biodiversitätsverlust darum, Möglichkeitsfenster zu nutzen. Wir müssen jetzt ambitioniert gegensteuern, um diese Kurve abzuflachen“, so Vadrot.
Das Barometer wird im Rahmen des dritten Österreichischen Forums zu Biodiversität und Ökosystemleistungen präsentiert. Das Forum findet heuer erstmals gemeinsam mit der Initiative „Austrian Barcode of Life“ (ABOL) im Rahmen der „Tage der Biodiversität“ als gemeinsame Online-Konferenz mit 350 Teilnehmer_innen statt.
Das Barometer der österreichischen Biodiversitätspolitik wird im Rahmen des 3. Österreichischen Forums zu Biodiversität und Ökosystemleistungen am 4. Dezember 2020 präsentiert.
3. Österreichisches Forum zu Biodiversität und Ökosystemleistungen
Freitag, 4. Dezember 2020 | Online
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