Offener Brief: Stärkung der Salzburger Landesumweltanwaltschaft

Die Situation der Umwelt und die Leistungen einer starken Umweltanwaltschaft für Salzburg. Appell an die künftige Salzburger Landesregierung und an den Salzburger Landtag.

Salzburg, 25.04.2023

Mehr als 100 Unterstützende, darunter der Biodiversitätsrat, appellieren an die künftige Salzburger Landesregierung und an den Salzburger Landtag die Verantwortung zum Wohle der Gesellschaft wahrzunehmen und den Natur- und Umweltschutz in Salzburg im Interesse der zukünftigen Generationen und der Natur an sich zu stärken. Ein wesentlicher Beitrag ist es, die bestehenden Rechte und Pflichten der Salzburger Landesumweltanwaltschaft sowie ihre Ressourcen personell und finanziell auszubauen und so wissenschaftliche Erkenntnisse besser zu berücksichtigen und schneller in den Schutz vor Ort einzubringen!

Situation der Umwelt
Die Situation unserer Umwelt und Natur ist dramatisch, auch in Österreich. Der menschengemachte Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten, es drohen uns 4 °C Erderwärmung [1]. Das sichtbare Artensterben schreitet aber ebenso stetig voran, kritische Kipppunkte können bald auch hier erreicht werden. Intakte Ökosysteme sind zudem wichtige Verbündete für die Bewältigung der Klimakrise. In Österreich sind 83% der Arten und 79% der Lebensräume in einem mangelhaften bis schlechten Zustand [2]. Knapp 90% der ursprünglichen Moorflächen Österreichs wurden bereits beschädigt oder zerstört, ein Großteil davon erst nach dem 2. Weltkrieg [3]. Nur 17% der Flüsse können noch ohne Hindernisse frei fließen, ca. 60% der Fischarten sind gefährdet [4]. Gerade 3% der Waldflächen sind noch natürlich [5]. Mit 11,3 Hektar Bodenverbrauch verfehlt Österreich das Nachhaltigkeitsziel des Bundes um mehr als das Vierfache. Knapp die Hälfte wird komplett versiegelt und geht damit dauerhaft verloren [6].

Die rasanten Veränderungen der Biodiversität Österreichs in der Natur- und Kulturlandschaft können hier nur exemplarisch dargestellt werden. Der dramatische Rückgang der Insekten (75% weniger Biomasse in Deutschlands Naturschutzgebieten von 1989 bis 2016; [7]) findet auch in Österreich statt. Über 50% aller Tagfalterarten und 40% von 800 untersuchten Nachtfalterarten Österreichs sind gefährdet [8, 9]. Im Salzburger Alpenvorland sind ein Drittel aller Tagfalterarten bereits ausgestorben oder vom Aussterben bedroht [10]. Damit sind auch viele weitere Arten gefährdet, denn rund 80% der wildlebenden Pflanzenarten hängen von der Bestäubung durch Insekten ab, für ca. 60% der Vögel sind Insekten als Nahrungsquelle unentbehrlich [7]. Auch Säugetiere und Amphibien sind auf Insekten angewiesen. Eine Untersuchung der Kulturlandschaftsvögel in Oberösterreich zeigte erschreckende Bestandseinbrüche von 33 bis 86% zwischen 1996 und 2016 [11]. In Salzburg wurde im Zeitraum von 1995-2015 ein Rückgang der Bestände des Grasfrosches um 83% festgestellt [12].

Die Zeit der multiplen Krisen
Wenige Jahrzehnte haben gereicht, dass sich unsere Umwelt, die Natur und damit auch unsere Lebensgrundlage in einem besorgniserregenden Zustand befindet. Die menschliche Gesellschaft braucht intakte Ökosysteme mit einer Vielfalt von Arten, welche die erforderlichen Dienstleistungen für uns kostenlos zur Verfügung stellen. Die Natur mitsamt ihren Ökosystemen sichert eine lebenswerte Zukunft. Die multiplen Krisen, wie Klimaerhitzung, Artensterben und Biodiversitätskrise, Wassermangel, Ernährungskrise, Gesundheitskrise und die daraus resultierende Bedrohung des sozialen Friedens können wir nur mit einer Änderung unserer bisherigen Lebensweise und einer nachhaltigen Nutzung der Natur überwinden.

Bereits 1972 wurde vom Club of Rome auf die „Grenzen des Wachstums“ hingewiesen [13]. Internationale Abkommen, europäische Richtlinien und lokale Naturschutzgesetze folgten, um Natur und Umwelt zu bewahren. Die multiple Krisensituation und Rückgänge wichtiger ökologischer Funktionen durch Verlust von Biodiversität erfordern aber neue und innovative Regelungen.

Notwendigkeiten – Was muss getan werden
Wir können noch handeln – regional, national und international. Viele unserer globalen Probleme haben lokale Ursprünge und erfordern, den wissenschaftlichen Erkenntnissen der nachteiligen Veränderung der Biodiversität mit konkreten, politischen und gesellschaftlichen Antworten und Handlungsanleitungen zu begegnen.

Im Rahmen der heutigen Naturschutzverfahren erfolgt nur noch eine „Resteverwaltung“ der noch vorhandenen bedrohten Artenvielfalt und Lebensräume. Ohne einen strengeren Schutz der Natur gehen nicht nur diese unwiederbringlich verloren, sondern auch die Möglichkeit zur Wiederherstellung der Natur mit ihren Funktionen für den Menschen.

Um unseren Kindern und Enkelkindern eine lebenswerte Zukunft zu sichern, brauchen wir neben einem engagierten Klimaschutz auch eine Stärkung des Natur- und Biodiversitätsschutzes mit

  • neuen und effizienteren Naturschutzgesetzen in ganz Österreich, die wissenschaftliche Erkenntnisse umsetzen,
  • der Zuerkennung der Eigenrechtsfähigkeit für die Natur und Stärkung ihrer Vertreter:innen [14] sowie
  • effektive Maßnahmen und Umsetzungen zur flächigen Wiederherstellung (Renaturierung) von natürlichen und naturnahen (vom Menschen genutzten) Ökosystemen.

Landesumweltanwaltschaften haben eine wichtige Funktion
Die österreichischen Landesumweltanwaltschaften (LUAs) tragen wesentlich zu einer intakten Umwelt, Natur und Artenvielfalt bei. Sie stärken die nötige Balance zwischen den teils enormen Begehrlichkeiten gegen unsere Umwelt (durch Industrie, Land- und Forstwirtschaft, Energiewirtschaft, Tourismus und weiteren Nutzern) und den Interessen zukünftiger Generationen. Als kompetente und verlässliche Anwält:innen geben die LUAs der Natur eine Stimme auf Basis geltender Gesetze und helfen bei der Abwägung der Interessen bei der Umsetzung vielzähliger kleiner, mittlerer und großer Projekte. Dabei ermöglichen sie auch die rasche Berücksichtigung und Würdigung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in der täglichen Verfahrenspraxis. Effektive Durchsetzungsrechte sind daher unabdingbar für den langfristigen Schutz der Natur und eine nachhaltige(re) Landnutzung der Zukunft.

Leider war die Arbeit der LUA im Salzburger Landtagswahlkampf ein kontroverses Thema. Sie wurde auch als lästiges Hindernis für die gesellschaftliche Entwicklung dargestellt. Es wurden sogar Einschränkungen ihrer Verfahrensrechte gefordert. Jedoch – eine moderne Umweltanwaltschaft

  • muss die geltenden Gesetze einfordern,
  • kann einen Beitrag leisten, zukünftig bessere gesetzliche Regelungen im Bereich des Schutzes der Biodiversität und Umwelt zu finden,
  • soll verstärkt die Interessen der Natur an sich und für die zukünftigen Generationen vertreten und nicht zuletzt
  • auch schnelle und professionelle Verfahren begleiten.

In dieser Rolle wird eine LUA immer einen starken Beitrag für die Bewältigung der „multiplen Krisen“ leisten und auch präventiv und kommunikativ verstärkt agieren.

„Die Biodiversitätsstrategie 2030 der EU und Österreichs und die damit verbundenen Biodiversitätsziele müssen gleichrangig mit den europäischen und österreichischen Klimazielen verfolgt werden. Beides ist von höchstem öffentlichem Interesse! Die Landesumweltanwaltschaften, insbesondere die LUA Salzburg, trägt wesentlich dazu bei
(Andreas Tribsch für den Österreichischer Biodiversitätsrat)

UnterzeichnerInnen:

Eine Liste der mehr als 100 unterstützenden NGOs, Institutionen und Personen aus der Wissenschaft und Naturschutzpraxis sowie LUAs sind im offenen Brief aufgeführt.

Downloads