Glücksfall für alles Leben

 

Österreichischer Biodiversitätsrat (ÖBDR) drängt auf die  Zustimmung Österreichs zum EU-Renaturierungsgesetz

 

Krems/Wien (22.5.2024): Bereits im Oktober 2023 hatten sich alle neun Landesumweltanwält:innen für die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (EU-Renaturierungsgesetz[1]) ausgesprochen.[2] Auf der Konferenz der Landeshauptleute vom 3.4.2024 hielten die neun Landeshauptleute – trotz bereits berücksichtigter  Änderungswünsche – nach wie vor dagegen. Kurz vor den Pfingstfeiertagen ließen LH Michael Ludwig und LH Peter Kaiser mit dem Vorstoß aufhorchen, die Landeshauptleute mögen ihre ablehnende Haltung angesichts der neuen finalen, stark abgeänderten Vorlage der Verordnung beenden. Der Österreichische Biodiversitätsrat begrüßt diesen Kurswechsel und sieht eine Zustimmung Österreichs am 17. Juni als unabdingbar.

Nachdem trotz vieler Nachbesserungen im Gesetz die Verhandlungen zwischen den Bundesländern und der Europäischen Union nach nun bald zwei Jahren nicht gefruchtet haben, befürchten wir schon das Schlimmste. Daher erachten wir die Initiative der Landeshauptmänner von Wien und Kärnten als äußerst vernünftig,” erläutert Assoz. Univ.-Prof. Dr. Thomas Wrbka (Universität Wien), Mitglied im Leitungsteam des Österreichischen Biodiversitätsrates. “Wir zählen auf die politische Kompromissbereitschaft der erfahrenen Landeshauptleute, die in diesem Fall für Österreich die Entscheidung zu verantworten haben. Gerne stehen wir von wissenschaftlicher Seite auch zur Verfügung, um letzte offenen Frage zu beantworten und Befürchtungen auszuräumen.

Nach der Annahme des Gesetzesvorschlags im Europäischen Parlament im Juli 2023 und der Vorstellung des wegen vieler Eingaben (u.a. durch die Bundesländer Österreichs) abgeschwächten finalen Entwurfs im November 2023, steht die Verabschiedung durch den Europäischen Rat noch aus. Österreich spielt derzeit eine zentrale Schlüsselrolle im Europäischen Rat, da es sich bisher enthalten hatte und – nach dem plötzlichen Ausfall Ungarns – einspringen und das Gesetz retten könnte. “Diese Verordnung ist eine noch nie dagewesene Chance für Österreich, seine sensiblen Naturräume wie beispielsweise Flusslandschaften und Moore von derzeit schlechten wieder in einen guten ökologischen Zustand zu bringen und dafür auch die finanziellen Mittel aus der EU zu erhalten” ist Univ.-Prof. Dr. Christian Sturmbauer (Universität Graz), Mitglied im Leitungsteam des Biodiversitätsrates, überzeugt. “Wir weisen explizit darauf hin, dass sich eine Zustimmung Österreichs zum EU-Renaturierungsgesetz auch günstig auf bestehende Vertragsverletzungsverfahren auswirken wird.

Gesetz für alles Leben auf der Erde

 Die im Gesetz angestrebte Wiederherstellung ursprünglicher Naturräume beabsichtigt das rasch voranschreitende Aussterben von Leben auf der Erde zu verhindern und, durch eine wieder vielfältiger gestaltete Natur besser gegen die Folgen des Klimawandels, wie Hitze, Fluten, Stürme und ökologische und ökonomische Auswirkungen invasiver Arten, gerüstet zu sein. Im Gesetz sind verbindliche Ziele enthalten, zerstörte Naturräume, insbesondere solche mit hohem Potenzial zur Kohlenstoffbindung und zur Verhinderung und Reduzierung der Auswirkungen von Naturkatastrophen, wiederherzustellen. Gerade für Österreich mit seinen ausgedehnten Naturräumen schafft das EU-Renaturierungsgesetz mehr Chancen und Möglichkeiten als Beschränkungen.

Positive Auswirkungen für vom Klimawandel geplagte Land- und Forstwirtschaft

 Die erhöhte Widerstandskraft der Natur wird langfristig positive Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben. Für die Landwirtschaft ist durch das EU-Renaturierungsgesetz eine Zunahme der biologischen Vielfalt auf landwirtschaftlichen Flächen beabsichtigt, beispielsweise durch die Förderung von Feldvögeln und Bestäubern wie Schmetterlingen. Gleichzeitig zielt das Gesetz auf die Erhöhung des organischen Kohlenstoffgehalts in Ackerböden ab. Darüber hinaus wird die Wiederherstellung entwässerter Torfböden, die landwirtschaftlich genutzt werden, angestrebt. Diese Maßnahmen sollen auch zur Klimawandelminderung und Klimawandelanpassung beitragen.

In der Forstwirtschaft werden Maßnahmen ergriffen, welche die Artenvielfalt in den Wäldern erhöhen, die Vernetzung der Wälder verbessern, den organischen Kohlenstoff in Böden und durch Totholz erhöhen sowie den Trend bei häufigen Waldvogelarten positiv beeinflussen. Zur Umsetzung müssen die Mitgliedstaaten nationale Renaturierungspläne erstellen, die auch die Vermeidung schädlicher Subventionen beinhalten, welche die Erreichung der Ziele des Naturschutzgesetzes beeinträchtigen könnten. Dies erfordert eine sorgfältige Planung und Umsetzung von nachhaltigen Forstpraktiken, die sowohl den ökologischen als auch den wirtschaftlichen Anforderungen gerecht werden.

Finanzierung neu schaffen

 Die finanzielle Unterstützung für die Mitgliedstaaten im Rahmen des EU-Renaturierungsgesetzes ist geplant. “Da es sich um ein sehr wichtiges und dringend notwendiges europäisches Zukunftsprojekt handelt, ist natürlich auch die Finanzierung aus EU-Mitteln notwendig und vorgesehen”, betont Dr. Johannes Rüdisser (Universität Innsbruck), Mitglied im Leitungsteam des Biodiversitätsrates. “Die Ausstattung der Naturschutzbudgets liegt auch in den Händen der Landeshauptleute. Aus unserer Sicht sind die Budgets der Bundesländer neu zu gestalten, zumal die Aufgaben weit über die des bisherigen Naturschutzes, beispielsweise für die Maßnahmen in der Landwirtschaft, hinausgehen werden. Umschichtungen von Mitteln für naturschädliche Maßnahmen zu Investitionen in die Reparatur von Naturräumen sind absolut notwendig,” so Assoz.-Univ.-Prof. Dr. Franz Essl (Universität Wien), ebenfalls Mitglied im Leitungsteam des Biodiversitätsrates. “Investitionen in die Naturwiederherstellung bringen einen vielfachen Nutzen für die Gesellschaft.

Breite Unterstützung für das Gesetz aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft

 Die umfassende Unterstützung des EU-Renaturierungsgesetzes durch die Wissenschaft zeigt die große Notwendigkeit, Ökosysteme zu regenerieren. Über 6000 Wissenschaftler:innen haben sich EU-weit für das Gesetz ausgesprochen.[3] In zahlreichen Faktenchecks wurden die Einwände der Landeshauptleute aufgenommen und erläutert.[4] Zuletzt haben 170 Wissenschafter:innen die Landeshauptleute in einem offenen Brief dazu aufgefordert, ihre Bedenken nochmals zu evaluieren und mit ihrer Zustimmung zum Gesetz “europäische Naturschutzgeschichte zu schreiben”.[5] Die laufende Petition “Österreich ist dafür – Geben Sie unserem Land eine Stimme!”[6] wird ebenfalls von der Wissenschaft unterstützt. Wie eine repräsentative Umfrage des WWF Anfang 2024 zeigte, sind 77 Prozent der österreichischen Bevölkerung dafür, dass die Natur konsequent geschützt und wiederhergestellt wird.[7] Aus der Wirtschaft sind es Konzerne wie Nestlé, REWE oder Energieverbände, die sich für die EU-Verordnung ausgesprochen haben.

Appell von befürwortenden an skeptische EU-Mitgliedsländer

 Und schließlich haben sich jene elf EU-Mitgliedsländer, welche bereits für die Verordnung gestimmt haben, mit einem Brief an die bisher ablehnenden oder sich enthaltenden Länder gewandt.[8] Darin machen sie darauf aufmerksam, dass die Europäische Union mit allen Mitgliedstaaten erst im Dezember 2022 das “Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF)”[9] unterzeichnet hat (Dieses wurde in Anbetracht des schlechten Zustands der weltweiten Artenvielfalt und ihrer Lebensräume entworfen und sieht u.a. ebenfalls die Wiederherstellung von Naturräumen unter verschiedenen Zielvorstellungen bis 2030 bzw. 2050 vor.). Schließlich kritisieren die befürwortenden EU-Staaten, dass die demokratischen Prozesse der EU durch eine Ablehnung durch die Mitgliedsländer infrage gestellt werden. Schließlich seien alle Vertreter:innen der Mitgliedsländer in der EU dazu aufgerufen, im Interesse ihrer Bürger:innen zu handeln.

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Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur ist ein zentrales Element des European Green Deal[10]. Dieses Gesetz zielt darauf ab, bis 2050 alle zerstörten Ökosysteme in der EU wiederherzustellen oder zumindest die Wiederherstellung einzuleiten. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Maßnahmen zur Renaturierung umzusetzen, die unter anderem die Wiederherstellung von Mooren, Flüssen und Wäldern umfassen. Jedes Mitgliedsland erstellt einen eigenen nationalen Wiederherstellungsplan, der die Erreichung der eigenen Ziele umfasst. Damit kann jedes Land auf seine naturräumlichen Eigenheiten und deren Bewirtschaftungsmuster sowie auf landestypische Verwaltungsformen eingehen.

Der Österreichische Biodiversitätsrat ist die unabhängige Stimme für Biodiversität in Österreich und übernimmt dabei die Vertretung des Netzwerks Biodiversität Österreich (300 teilnehmende Personen und Organisationen). Der Rat besteht aus 24 Forscher:innen und Expert:innen der Bereiche Biodiversität, Ökologie, Landschaftsplanung, Naturschutz, ökologische Ökonomik, Agrarökonomie und Politikwissenschaften. Im Mittelpunkt der Arbeit des ÖBDR stehen die 5 Kernforderungen zum Schutz der Biodiversität in Österreich.

Quellen:

[1] Das EU Nature Restoration Law ist ein bahnbrechender Rechtsakt, der darauf abzielt, die Natur in Europa wiederherzustellen. Es ist das erste kontinentweite, umfassende Gesetz seiner Art und ein Schlüsselelement der EU-Biodiversitätsstrategie. Das Gesetz setzt verbindliche Ziele zur Wiederherstellung degradierter Ökosysteme, insbesondere solcher, die das Potenzial haben, Kohlenstoff zu speichern und die Auswirkungen von Naturkatastrophen zu verhindern oder zu verringern.

[2] Umweltanwält*innen setzen sich für ein starkes EU-Renaturierungsgesetz ein (umweltanwaltschaft.gv.at)

[3] Scientists_support_Green_Deal_and_reject_attack_on_SUR_and_NRL.pdf (idiv.de)

[4] https://www.wwf.at/artikel/eu-renaturierungsgesetz-im-faktencheck/

[5] Offener Brief: Wissenschaft drängt zu Renaturierungsgesetz – science.ORF.at

[6] Petition für das Renaturierungsgesetz

[7] WWF-Umfrage: Große Mehrheit besorgt über Naturverlust – WWF Österreich

[8] https://www.gov.ie/pdf/?file=https://assets.gov.ie/293085/e29ea3b4-129d-4ccd-bbcc-cc00e5fcb2f6.pdf

[9] https://www.cbd.int/gbf

[10] Der European Green Deal ist eine Wachstumsstrategie der Europäischen Union, die darauf abzielt, Europa bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Dieser umfassende Plan beinhaltet verschiedene Maßnahmen und Politiken, die den Übergang zu einer sauberen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft unterstützen sollen.

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