Offener Brief an die Landeshauptleute von Wien und Kärnten und an die Umweltministerin: Bilden Sie eine Koalition der Willigen!

 

Appell des Österreichischen Biodiversitätsrates und weiterer renommierter Wissenschafter:innen an die Landeshauptleute von Wien und Kärtnen sowie an die Umweltministerin: Sichern Sie die Zustimmung Österreichs zum Renaturierungsgesetz in Brüssel!

 

Wien, 13.6.2024: Die finale Abstimmung im EU-Umweltministerrat zum Renaturierungsgesetz ist für den 17. Juni angesetzt. Erfreulicherweise haben die Bundesländer Wien und Kärnten vor einigen Wochen ihre Unterstützung für das Gesetz signalisiert. Wien hat mit einem Regierungsbeschluss diese Woche einen weiteren Schritt in die richtige Richtung gemacht. Um den Weg zur Zustimmung rechtlich endgültig zu sichern, braucht es nun eine Koalition der Willigen. Daher richten wir hiermit unseren dringenden Appell an die Landesregierungen von Wien und Kärnten: Räumen Sie letzte verbliebene Hürden aus dem Weg! Und unser Appell an die Umweltministerin: Nutzen Sie den politischen Entscheidungsspielraum, und stimmen Sie dem Renaturierungsgesetz in Brüssel zu!

Artenverlust, Klimakrise und Green Deal

Der Artenverlust hat in Europa ein dramatisches Ausmaß angenommen. Das ist wissenschaftlich unbestritten. Die EU-Kommission hat als Antwort darauf das Renaturierungsgesetz als ein Kernstück des „Green Deal“ vorgelegt, um gefährdete Natur- und Lebensräume rasch wieder in einen stabileren Zustand zu bringen. Das sind wichtige Maßnahmen, auch zum Schutz der Menschen in Europa, etwa indem sie den Hochwasserschutz verbessern oder die Anzahl von Bestäuberinsekten fördern und dadurch die Ernteerträge sichern.

Viele Renaturierungsmaßnahmen dienen auch dem Klimaschutz. Die Landwirtschaft zählt mit einem Anteil von elf Prozent zu den großen Treibhausgasemittenten Österreichs. Ein erheblicher Teil dieser Emissionen kommt aus der Zerstörung von Natur. So setzen zum Beispiel entwässerte Moorböden Treibhausgase frei. Bei renaturierten Mooren hingegen bleibt der Kohlenstoff im Boden und der höhere Grundwasserspiegel hilft der Landwirtschaft in den immer häufiger werdenden Dürreperioden.

Das Renaturierungsgesetz der EU setzt genau hier an. In zähen Abstimmungen mit dem Europaparlament und den Mitgliedsstaaten wurde das Gesetzesvorhaben vorangetrieben – nun fehlt als letzte Abstimmung der Beschluss im EU-Umweltminister:innenrat. Die Allianz der für Naturschutz zuständigen Landeshauptleute verhindert dabei bis vor kurzem die Zustimmung durch die Umweltministerin Österreichs. Da Ungarn, die Slowakei und einige wenige andere EU-Mitgliedsstaaten dem Gesetzesvorschlag ebenfalls skeptisch gegenüberstehen, spielt Österreich nun eine Schlüsselrolle.

Was sichert Ernten, Artenvielfalt und Klimaschutz? Das Renaturierungsgesetz!

Völlig unzutreffend ist das in Österreich immer wieder vorgebachte Argument, das EU-Renaturierungsgesetz werde dazu führen, dass künftig mehr Nahrungsmittel importiert werden müssten. Das Gegenteil wird der Fall sein. Stabile Ernten sind in der Klimakrise nur dann möglich, wenn Äcker und Wiesen in einer intakten Landschaft eingebettet sind und, wenn es genügend Bestäuber gibt. Gleichzeitig schafft das Renaturierungsgesetz einen Rahmen, der für Österreichs Bäuer:innen die Abgeltung ihrer Umweltleistungen ermöglicht. Das heißt, gerade für Bäuer:innen ist das Renaturierungsgesetz eine Chance und keine Bedrohung.

Gesicherte Finanzierung und gesellschaftlich sinnvolle Investition

Ja, die Umsetzung des EU-Renaturierungsgesetzes wird Geld kosten, so wie auch andere sinnvolle Maßnahmen, wie etwa Ausgaben für unser Gesundheitssystem oder die Verkehrssicherheit. Es sind allerdings gesellschaftlich sinnvolle Ausgaben mit hoher Umwegrentabilität. Für das Renaturierungsgesetz haben Studien der EU-Kommission gezeigt, dass jeder Euro für Renaturierung 12-fach zurückkommt! Die Kosten des Nichtstuns durch stärkere Unwetter, zunehmende Ertragsverluste und vieles mehr sind um ein Zehnfaches größer, als es die Ausgaben für das Renaturierungsgesetz sind. Alleine die Versicherungsschäden des Hochwassers im Ahrtal in Deutschland im Jahr 2021 betrugen 9 Milliarden Euro. Versicherungen schlagen bereits Alarm, dass auch sie bald keine Rückversicherungen mehr bekommen könnten. Nichtstun ist also viel teurer als eine Umsetzung des Renaturierungsgesetzes. Das Renaturierungsgesetz sieht einen Finanzierungsmechanismus vor, wobei die Mitgliedsländer ihren Bedarf an zusätzliche Geldern für die Umsetzung der Maßnahmen erfassen. Diese Mittel werden anschließend im Budget der EU berücksichtigt. Damit ist klar, dass es eine Co-Finanzierung aus Brüssel geben wird.

Bildung einer Koalition der Willigen für das Renaturierungsgesetz!

Wir begrüßen, dass die Bundesländer Wien und Kärnten vor kurzem ihre Zustimmung zum vorliegenden Gesetzesentwurf ausgesprochen haben. Dabei wurden allerdings Bedingungen genannt. Wien hat mit einem Regierungsbeschluss diese Woche einen weiteren Schritt in die richtige Richtung gemacht, und seine Unterstützung des Renaturierungsgesetzes bekräftigt. Um den Weg zur Zustimmung rechtlich endgültig zu sichern, braucht es nun eine Koalition der Willigen. Vor diesem Hintergrund appellieren wir, die Unterzeichnenden, an die Landeshauptleute von Wien und Kärnten: Räumen Sie letzte verbliebene Hürden aus dem Weg! Konkret: Ziehen Sie schriftlich ihre Zustimmung zum ablehnenden Beschluss der Bundesländer zum Renaturierungsgesetz zurück und sprechen Sie sich bedingungslos für eine Zustimmung durch Österreich aus! Nur so setzen Sie kurz vor der Nationalratswahl ein starkes Zeichen dafür, dass die SPÖ glaubwürdig auf Seite des Natur- und Klimaschutzes steht. Und unser Appell an die Umweltministerin: Nutzen Sie den politischen Entscheidungsspielraum, und stimmen Sie dem Renaturierungsgesetz in Brüssel zu!

Unterzeichnende: Leitungsteam des Biodiversitätsrates: Franz Essl, Thomas Hein, Irmgard Krisai-Greilhuber, Johannes Rüdisser, Andreas Tribsch, Christian Sturmbauer, Alice Vadrot, Thomas Wrbka sowie Helga Kromp-Kolb, Rafaela Schinegger, Reinhard Steurer (alle Universität für Bodenkultur Wien), Wolfgang Suske (Initiator von https://www.renaturierungsgesetz.at/)

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Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur[1] ist ein zentrales Element des European Green Deal[2]. Dieses Gesetz zielt darauf ab, bis 2050 alle zerstörten Ökosysteme in der EU wiederherzustellen oder zumindest die Wiederherstellung einzuleiten. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Maßnahmen zur Renaturierung umzusetzen, die unter anderem die Wiederherstellung von Mooren, Flüssen und Wäldern umfassen. Jedes Mitgliedsland erstellt einen eigenen nationalen Wiederherstellungsplan, der die Erreichung der eigenen Ziele umfasst. Damit kann jedes Land auf seine naturräumlichen Eigenheiten und deren Bewirtschaftungsmuster sowie auf landestypische Verwaltungsformen eingehen.

Der Österreichische Biodiversitätsrat ist die unabhängige Stimme für Biodiversität in Österreich und übernimmt dabei die Vertretung des Netzwerks Biodiversität Österreich (300 teilnehmende Personen und Organisationen). Der Rat besteht aus 24 Forscher:innen und Expert:innen der Bereiche Biodiversität, Ökologie, Landschaftsplanung, Naturschutz, ökologische Ökonomik, Agrarökonomie und Politikwissenschaften. Im Mittelpunkt der Arbeit des ÖBDR stehen die 5 Kernforderungen zum Schutz der Biodiversität in Österreich.

Quellen:

[1] Das EU Nature Restoration Law ist ein bahnbrechender Rechtsakt, der darauf abzielt, die Natur in Europa wiederherzustellen. Es ist das erste kontinentweite, umfassende Gesetz seiner Art und ein Schlüsselelement der EU-Biodiversitätsstrategie. Das Gesetz setzt verbindliche Ziele zur Wiederherstellung degradierter Ökosysteme, insbesondere solcher, die das Potenzial haben, Kohlenstoff zu speichern und die Auswirkungen von Naturkatastrophen zu verhindern oder zu verringern.

[2] Der European Green Deal ist eine Wachstumsstrategie der Europäischen Union, die darauf abzielt, Europa bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Dieser umfassende Plan beinhaltet verschiedene Maßnahmen und Politiken, die den Übergang zu einer sauberen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft unterstützen sollen.

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Kontakt:

Mag.a (FH) Yvona Asbäck, MBA, Koordinatorin Biodiversitäts-Hub Österreich: 0043 676 537 08 90